(Gabriela Beck)
Je älter man wird, desto mehr zwickt und zwackt es. Die einen trifft ein Bandscheibenvorfall, andere werden durch schmerzende Knie oder steife Schultern beeinträchtigt. Mir machen mein verspannter Nacken und zunehmend Kopfweh zu schaffen. Während eines Aufenthalts im Refugium Lindenwirt bei Bodenmais im Bayerischen Wald, nutze ich die Gelegenheit, etwas dagegen zu tun – mit einer Schmerzpunktpressur-Behandlung im hoteleigenen Tilia-Spa bei Sandro Wolff, Bewegungs- und Schmerztherapeut nach Liebscher und Bracht. Dabei erfahre ich, wie Schmerzen entstehen und dass es sehr wirkungsvolle natürliche Möglichkeiten gibt, sie zu beseitigen.
Der Druck irgendwo zwischen Schulterblatt und Schulter ruft einen stechenden Schmerz hervor – der sich innerhalb von Sekunden in Nichts auflöst. Ich sitze im Badeanzug auf der Liege im Behandlungsraum und bin fasziniert: egal wo Therapeut Sandro Wolff zudrückt, verschwindet der Schmerz. „Ich nenne das ‚den Schmerz abfließen lassen’“, sagt er. Das möchte ich genauer wissen:
Wie funktioniert die Schmerzpunktpressur nach Liebscher und Bracht?
„Bei der Schmerzpunktpressur – oder auch Osteopressur – drücke ich die Sehnen, an denen die Muskeln befestigt sind, auf die Knochen – dort, wo sie an den Knochen ansetzen. Es gibt 70 solche Stellen im Körper, die je nach Schmerzbild aktiviert werden können. Obwohl ich immer den gleichen Druck ausübe, maximal zwei Minuten lang, wird der Schmerz weniger. Folgendes passiert: Wo der Schmerz sitzt, sind die Muskeln verspannt und damit verkürzt, die Sehnen demzufolge gespannt. Übe ich nun Druck auf die Sehne aus, könnte sie reißen. Das will der Körper natürlich nicht und gibt dem Muskel den Befehl länger zu werden, also zu entspannen.“
Wem kann mit dieser Schmerztherapie geholfen werden?
„Zu mir kommen Leute mit Bandscheibenschäden, Nackenschmerzen, Kalkschulter, Migräne, Arthrose – die kann ich zu 90 Prozent mit Osteopressur behandeln.“
Ich dachte, die Schmerzen bei Arthrose werden durch Abnutzungserscheinungen des Knorpels hervorgerufen?
„Was viele nicht wissen: Schmerz am Bewegungsapparat ist zu 90 Prozent muskulär bedingt. Man kann sich das wie ein Korsett vorstellen: durch einseitige Bewegung verkürzen sich die Muskeln mit der Zeit, werden steif und ziehen sich immer fester zusammen. Das drückt die Knochen im Gelenk aufeinander, Reibung in den gegeneinander beweglichen Gelenkteilen entsteht und dadurch häufig eine Entzündung. Durch Entspannen der Muskeln lockere ich dieses Korsett und verringere dadurch den Druck auf das Gelenk. Oft verschwindet die Entzündung dann von allein. Bei rechtzeitiger Behandlung kann der Körper manchmal sogar das abgenutzte Knorpelgewebe wiederaufbauen. Schmerz ist ja nichts Negatives an sich, sondern ein Warnzeichen unseres Körpers, dass etwas nicht stimmt.“
Mein Kopf, merke ich bei den nun folgenden Dehnübungen, ist ziemlich in dieses Korsett eingespannt. „Wichtig ist, dass Sie bei den Übungen nicht die Luft anhalten und bei jedem Ausatmen noch mal die Dehnung verstärken. Das ist eine Sache von Millimetern“, erklärt Sandro Wolff. Die Übungen sind jeweils in mehreren Schritten aufgebaut, dabei spielen auch leichter Druck und Gegendruck eine Rolle. „Die Muskeln sind wie Eisenstangen, die möchten sich nicht so ohne weiteres aufdehnen, deshalb schmerzt die Übung erstmal. Je öfter man das macht, desto effektvoller ist das Ganze.“ Und tatsächlich: nach ein paar Minuten fühlt sich mein Nacken viel lockerer an, der Kopf lässt sich leichter drehen.
Wie entsteht eigentlich das ‚Eisenstangenkorsett‘ in meinem Körper?
„Verkürzte Muskeln entstehen durch einseitige Belastung und langes Sitzen. Der Großteil unserer Bewegungen geht ja in dieselbe Richtung: nach vorn – egal, ob wir Zähne putzen, an der Tastatur arbeiten, essen, Auto fahren, staubsaugen, joggen, Rad fahren. Wir nutzen nur 15 Prozent unseres Bewegungsradius, vor allem im Schulter- und Hüftbereich. Wir sitzen vor dem Computer, im Kino, im Gasthaus, auf der Couch, viele schlafen sogar mit angezogenen Knien. Da sitzen die Leute jahrelang den ganzen Tag im Büro und wundern sich dann, wenn sie einen Bandscheibenvorfall haben. Das liegt weniger an fehlenden Rückenmuskeln, als vielmehr an den verkürzten Bauchmuskeln – die merkt man im Rücken.“
Gibt es besonders geeignete Sportarten, um dem entgegenzuwirken?
„Tendenziell sind alle Sportarten gut, die Bewegung in verschiedene Richtungen beinhalten. Bei Yoga, Pilates, Tai Chi oder Qigong kommt noch dazu, dass man sich langsam und bewusst bewegt und dabei in sich hineinhorchen kann. Letztlich muss aber jeder für sich selber herausfinden, was einem liegt oder was er geg. je nach Schmerzzustand machen kann. Wichtiger ist jedoch, dass man die Übungen nach der Bewegungslehre von Liebscher und Bracht in den Alltag einbaut. Denn wie oft mache ich schon Sport oder gehe ins Fitnessstudio – zweimal die Woche?“
Gegen mein Kopfweh gibt es nun Schmerzpunktpressur am Hinterkopf, denn auch dort setzen Sehnen an. Ich soll den Druckschmerz auf einer Skala von 1 bis 10 einordnen. Doch bis ich mich für eine Zahl entschieden habe, ist der Schmerz bereits schon wieder weg. Es folgt eine Dehnübung mit dem Kinn zum Brustbein. Die ist unangenehm. „Das ist der positive Dehnungsschmerz“, bestätigt Sandro Wolff, „Dazu muss man den Körper aber überhaupt erstmal wieder wahrnehmen, die meisten beachten ihn ja nur, wenn er Schmerzsignale sendet.“
Wie messen Sie den Erfolg der Schmerztherapie?
„Dazu brauche ich einen Referenzschmerz. Wer zum Beispiel beim Treppensteigen Schmerzen hat, mit dem steige ich am Anfang der Therapie auf die Treppe. Damit hat der Patient den Schmerz frisch im Kopf – das sind hundert Prozent oder eine 10 auf der Skala. Während der Behandlung kann er mir dann besser sagen, inwieweit der Schmerz schon abgeklungen oder ganz verschwunden ist.“
Wie viele Sitzungen sind nötig, um eine Wirkung zu erzielen?
„Viele Gäste sind ja nur eine Woche im Refugium Lindenwirt und kommen dann nur einmal. Günstiger wären drei Sitzungen, aber auch beim ersten Mal funktioniert der Schmerzabbau in der Regel schon auf bis zu ein Drittel der Intensität. Manchmal ist der Schmerz nach der Behandlung sogar auf Dauer verschwunden. Ich gebe den Leuten Übungen mit, damit sie selber gegensteuern können, falls der Schmerz wieder auftaucht. Ich selbst mache übrigens auch täglich meine Übungen nach Liebscher und Bracht.“
Auch mir gibt der Therapeut einfache Dehnübungen für daheim mit, zusammen mit einem Rat: „Machen Sie die Übungen regelmäßig, langsam und bewusst, dann zerren Sie sich auch nichts.“
Zum Experten: Sandro Wolff ist Schmerz- und Bewegungstherapeut nach Liebscher und Bracht im Wellness-Refugium Lindenwirt in Drachselsried.